Ein unheilvoller Ort, von dem die wenigsten was ahnen, Soldaten mit Gesichtstarnung und eine wunderbare Stadt als Ziel – all das begegnete uns auf der achten Etappe unserer Pilgerschaft auf der Via de la Plata.

Heute, am 15. März 2022, wollen wir über 20 Kilometer in Angriff nehmen. Nach den Erfahrungen zu Beginn unserer 2022er-Pilgerschaft entschließen wir uns, schon um 6 Uhr aufzustehen und auf ein Frühstück bei „Herbergsmutter“ Teresa zu verzichten. Kaum zu glauben, aber wahr: Wir kommen tatsächlich einmal bald weg! Und es lohnt sich: Als wir aus der Tür des Casa Rural Aldea del Cano treten, empfängt uns ein Vogelgezwitscher, wie ich es noch nie persönlich erlebt habe und höchstens aus Filmen über den Regenwald kenne. Die Palmen auf dem Dorfplatz mit der romantischen alten Kirche sind wohl doch nicht so ökologisch tot, wie man mutßmaßen könnte, sondern bieten Hunderten von Vögeln Lebensraum. Und die flattern in solchen Scharen durch die Morgenluft, daß man doch glatt an Alfred Hitchcocks berühmten Streifen „Die Vögel“ erinnert wird – allerdings ist das hier kein Horrorfilm: Was wir hier leben, erfüllt uns nicht mit Angst, sondern läßt das Herz vor Freude aufgehen.

Über die nächtliche Landstraße finden wir dann doch ziemlich sicher den Einstieg in den Camino Santiago. Wir haben dem Dunkel getrotzt, und langsam dämmert es uns und der ganzen Welt der Extramadura um uns. Ich bin ja nicht gerade der passionierte Frühaufsteher, aber genieße jetzt doch die wunderbare Stimmung des heraufziehenden Tages.

Einfach faszinierend: eine uralte Viehtränke entlang des alten Viehwegs zwischen Merida und Caceres (Foto: Christine Schneider).

Ein paar Kilometer weiter stehen wir vor einer von Wellblechhütten gesäumten baum- und strauchlosen, aber kilometerlangen Piste. Nichts erinnert an die schlimme Geschichte dieses Ortes: Von hier aus startete die deutsche Legion Condor, mit der Hitler seinen Faschistenfreund Francisco Franco im spanischen Bürgerkrieg unterstützte, zu ihren Angriffen auf die von der Republikanern gehaltenen Städte – die Attacke auf Guernica ging ja durch Pablo Picassos  beeindruckendes Gemälde sogar in die Kunstgeschichte ein.

Das Aerodromo de Caceres spielte also in diesem Krieg eine ganz zentrale Rolle. Und die Stadt Caceres, in die wir heute wandern (und die übrigens „Kasseres“ ausgesprochen wird), war ab August 1936 bis zum Februar 1937 Francos Hauptquartier, hier ließ er sich zum Caudillo („Führer“) ausrufen. Doch wie gesagt: Machte man sich keine Gedanken über die später vom örtlichen Fliegerclub genutzten Blechhangars- man würde nie auf die Idee kommen, an welch geschichtsträchtigen Ort man sich hier befindet, nichts deutet darauf hin, kein Gedenkstein oder Mahnmal weit und breit…

Allein auf weiter unheilvoller Piste: vom Aerodromo de Caceres startete die Nazi-Legion Kondor ihre Terrorangriffe. (Foto: Christine Schneider)

Wir sind ohne Frühstück los, und langsam knurrt uns dann doch der Magen. Ein großes Problem ist das im Gegensatz zu vielen anderen Tagen auf der Via de la Plata heute freilich nicht.

Auch vor Valdesalor geht es über eine alte Römerbrücke – fast 200 Meter ist sie lang.

Nach drei Stunden (oder rund elf Kilometern) kommen wir in Valdesalor an, und dort gibt es gottseidank einen Laden, der auch Frühstück anrichtet: La Despensa del Salor verwendet zwar leider nur Einweggeschirr, und auch Schinken und Käse für unsere Tostada werden in Plastikverpackungen auf den Tisch gestellt – aber in diesen sauren Apfel müssen wir nun mal beißen. Bleibt zu hoffen, daß mit der Zeit sich auch hier ein Bewusstseinwandel einstellt. Schmecken tut es trotz unseres schlechten Umweltgewissens, und kurz nach uns treffen Tom und Rod, zwei Pilger aus Kanada beziehungsweise Australien ein, mit denen wir uns munter übers Pilgern und Wandern austauschen und die uns in der Gewißheit bestärken, mit unserem Quartier die bessere Wahl getroffen zu haben: Die offizielle Herberge war wohl nicht so prickelnd!

Eine Stunde später kommen mir dann Gedanken an den Krieg ganz nahe: Immer wieder schreitet uns eine kleine Gruppe Soldaten entgegen, die das Gewehr nicht über der Schulter, sondern vor sich her tragen und wohl das Marschieren mit der Waffe trainieren. Auch die eine oder andere Frau ist darunter. Die Gesichter aller sind rußgeschwärzt – ist das nun einfach die Grundausbildung oder werden sie bald an die Grenzen Litauens oder Polens abkommandiert?

Die Aufschriften am Zaun links neben uns zeigen mir, daß wir uns wohl am Rande eines Truppenübungsplatzes entlang bewegen, und mit jedem Soldaten kommt mir mein Onkel Heinz in den Sinn, dessen Namen ich außer dem Jürgen auch trage, den ich aber  nie kennenlernen konnte: Auch er führte als Leutnant vor 80 Jahren eine solche kleine Gruppe in der und gegen die Sowjetunion – und ist nie wieder zurückgekommen. Was hat der Krieg Europa nicht schon angetan – und nun soll es schon wieder losgehen?! Daß ich das noch erleben muß, hätte ich, der für das Zeitalter des Friedens, in das ich hineingeboren wurde, mir nie träumen lassen. Aber nun ist dieser Alptraum wahr, und ich hoffe inständig, daß er bald zu Ende geht und daß dieser Generation das Schicksal ihrer (Ur)Großeltern erspart bleibt. Bis jetzt, da ich diese Zeilen niederschreibe (am 16. Juni 2022) ist das leider nicht der Fall.

Kurz vor Caceres überholt und holt mich dann ein Radler aus meiner Gedankenverlorenheit: Ich solle doch nach meiner Frau schauen, der täten sicher die Füße weh. Christine ist etwas hinter mir geblieben und hat sich entschieden, auf den letzten Kilometern die ersten Barfußversuche des Jahres 2022 zu machen. Der gute Mann auf seinem Stahlross findet das viel zu gefährlich bei den vielen Steinchen auf der Piste hier und empfiehlt, wenn schon ohne Schuhe, dann auf die Straße auszuweichen. Aber Christine läßt sich nicht überzeugen und schreitet munter weiter.

Mir als Journalist ist Caceres gleich sympathisch: Da gibt es sogar ein Denkmal für die Zeitungsausträgerinnen. (Foto: Christine Schneider)

Viel mehr Probleme bereiten ihr (und mir) dann die letzten Kilometer durch die Stadt. Die Strecke ins Zentrum zieht sich schier endlos, aber wenigstens bekomme ich dann mein heiß ersehntes Ladekabel, so daß ich mit meinem Handy fototechnisch wieder autark bin. Daß meine Zimmerbuchung am Abend (beziehungsweise in der Nacht) zuvor ziemlich chaotisch verlief, hatte auch sein Gutes, denn dadurch haben wir ganz unverhofft ein Zimmer im Hostal Martes im obersten Stock eines Hauses Nummer 33 an der Plaza Mayor, des größten Platzes von ganz Spanien, erhalten – und das Leben dort liegt uns quasi zu Füßen.

Pilgerrunde mit Schwein(en): Hanna, Christine, Jürgen, Manuela. Torsten und Benno) in unserem Stammlokal Los Ibericos.

Unser Gastgeber ist ein junger Pole, der selbst zu Fuß kreuz und quer durch Europa gewandert ist und sich dann hier im zunächst fremden Land selbständig gemacht hat. Er empfiehlt uns für das Abendessen das Restaurant Los Ibericos, wo wir mit unseren Pilgerfreunden Manuela und Tosten („ohne H“), Hanna und Benno wie tags zuvor einen ebenso gemütlichen wie inspirierenden Abend verbringen, und das wegen seiner hervorragenden regionalen Küchfür uns zum steten Anlaufpunkt während unserer Zeit in dieser faszinierenden Stadt werden soll…

Nightlife in Caceres: der Blick aus unserem Zimmer im Hostal Martes an der Plaza Mayor.

erlebt am 15. März 2022

notiert am 20. März 2022

Statistik:

Länge: 23 km
Dauer: 7 Stunden
Anstieg: 140 Höhenmeter
Abstieg: 75 Höhenmeter
höchster Punkt: 478 Meter
tiefster Punkt: 369 Meter

direkter Link zu Alpenverein aktiv hier.

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Ein anderer toller Blog ist von Werner Kräutler.

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Die bisherigen Folgen findet Ihr hier:

Via de la Plata 2022 (1): Start in Zafra

Via de la Plata 2022 (2): Zafra – Villafranca de los Barros

Via de la Plata 2022 (3): Villafranca de los Barros – Torremejía

Via de la Plata 2022 (4): Torremejía – Mérida

Via de la Plata 2022 (5): Mérida – Aljucen

Via de la Plata 2022 (6): Aljucen – Alcuescar

Via de la Plata 2022 (7): Alcuescar – Aldea del Cano