Ganz schön anstrengend war für uns die lange zweite Etappe des Giro die Viso rund um den Monviso in den Cottischen Alpen. Wie gut, daß wir es auf dem dritten Teilstück vom Piemont hinein nach Frankreich etwas gemütlicher angehen lassen können.

Der ausgiebige Schlaf im Rifugio Vallanta hat gut getan, denn als ich nach dem Frühstück die ersten Höhenmeter in Angriff nehme, spüre ich gleich: Heute geht’s viel besser! Was mich gestern schier zur Verzweiflung trieb, geht heute wie von selbst. „Es geht mich“, sozusagen.

Der Blick ringsum läßt mich innerlich jubeln: Nicht nur wegen des imposanten Massivs des MonViso, das einen aus jeder Perspektive in den Bann zu schlagen vermag und voller bizarrer Schönheit ist. Sondern auch wegen des Blicks in Richtung Süden, wo sich ebenfalls wunderschöne Berge vor dem Horizont auftürmen und viele herrliche Erinnerungen an unsere fantastische Tour auf der Grande Traversata delle Alpi (GTA) wach werden lassen.

„Dort hinten waren wir vor zehn Jahren!“: Der Blick vom Passo Vallanta Richtung Süden mit unseren „GTA-Bergen“ damals…

Dort sind wir vor zehn Jahren am Beginn unserer Fernwanderung durchgekommen, und dort haben wir viel erlebt, das uns staunen lassen und unser Herz bereichert hat. Zudem begeistert mich auch heute wieder die ungeheuerliche Blumenpracht inclusive des Symbols der Alpen schlechthin: des Edelweiß.

Das Symbol der Alpen schlechthin (obwohl es eigentlich ein „Einwanderer“ dort ist): das Edelweiß.

Nach einer Stunde nähern wir uns schon dem Höhe-Punkt unserer Wanderung heute: Doch der Passo di Vallanta ist mit einen 2850 Metern nicht nur ein Übergang, sondern auch eine Staatsgrenze. Und mit jedem Schritt von Italien hinein nach Frankreich brennt sich in mir mehr der Gedanke ein, wie irrsinnig Grenzen doch im Grunde sind und wie willkürlich sie doch dereinst gezogen wurden. Im Europa von heute sollten sie doch überflüssig sein – und dennoch feiert der Nationalismus zurzeit fröhliche Urständ.

Herrliche Ziele in alle Richtungen: Der Passo di Vallanta verbindet Italien und Frankreich.

Wie weit der Weg zum vereinten Europa noch ist, zeigt auch eine Kleinigkeit, die indes für für Hundefreunde nicht unerheblich ist: Während im italienischen Naturpark Monviso Hunde erlaubt sich, prangt an einem Felsen an der Grenze ein großes Verbotsschild und verbietet den Vierbeinern den Zutritt zum Naturpark Queyras. Ohne jede Vorwarnung drunten im Tal. Auch Nicole, der netten Französin aus der Nähe von Marseille, mit deren fröhlicher Gruppe wir nun schon den dritten (und letzten) Tag unterwegs sind, war das wohl nicht bewusst. Noch am Frühstück hat sie mir gesagt, nur in französischen Nationalparks seien Hunde verboten, in Naturparks aber nicht. Typischer Fall von denkste also.

Während wir durch saftig-grüne Wiesen hinauf zum Sattel gestiegen sind, geht es hinab durch Blockstein-Felder, meinen absoluten Nicht-Lieblingsuntergrund. Aber heute stört mich das nicht besonders, denn anders als bei einigen nervenden GTA-Abschnitten oder in den Lagorai, wo ich auch schwer kämpfen mußte, ist hier das Ende schon von weitem abzusehen: der Lac Lestio etwa 200 Höhenmeter weiter drunten. Dort lassen wir uns dann auch zur gemütlichen Mittagsjause nieder und genießen den Blick auf die Spiegelungen im glasklaren Wasser.

Im Lac Lestio kann man toll die Füße kühlen…

Ab hier sind auch die Wiesen im französischen Naturpark Queyras einfach wunderbar, und schon kurz nach Mittag sind wir an unserem heutigen Tagesziel, dem Refuge du Viso, einer Hütte des französischen Alpenvereins auf 2460 Meter. Auf Englisch ist sie als „Hafen der Stille“ bezeichnet, auf Italienisch als „Oase des Friedens“ – was beides bedeutet, daß es hier kein WLAN, keinen Strom zum Handyaufladen und auch kein Handynetz gibt. „Tolle Idee“, denke ich mir, nachdem wir jetzt schon drei Tage von den Segnungen der Technik abgeschnitten sind. Und das meine ich ehrlich, wenn auch mit der berühmten Radio Eriwan-Einschränkung: Im Prinzip ja, aber wenn man es dann wirklich braucht, wäre es anders besser…

Der Refuge du Viso wartet schon…

So müssen wir rätseln, ob es dann wirklich klappt mit dem Treffen mit meiner Nichte Manuela und Marco, das wir am nächsten Tag ins Auge gefasst hatten. Unser letzter Kontakt liegt nun drei Tage zurück, aber jetzt läuft erstmal gar nichts. Aber immerhin hatte ich Zeit, jetzt mal mein Tagebuch mit frischen Erinnerungen aufzufüllen…

Erlebt am Samstag, 10. Juli 2021

Statistik

Länge: 6,5 Kilometer
Dauer: drei Stunden reine Gehzeit
Höhenunterschied: 436 m bergauf / 408 m bergab
Höchster Punkt: 2826 m
Tiefster Punkt: 2419 m

Hier der direkte Link zu Alpenvereinaktiv

Und hier die anderen Etappen des Giro di Viso:

Giro di Viso 2021 (1): Der Start

Giro di Viso 2021 (2): Zum Rifugio Vallanta

Giro di Viso 2021 (4): Durch den ältesten Alpentunnel