Ganz schön geschafft waren wir gestern nach der zweiten Etappe des Allgäuer Jakobsweges. Die schöne Landschaft, die herrliche Streckenführung und die wohltuende Stille und Abgeschiedenheit mußten mit ganz schön viel Schinderei erkauft werden. Aber so ist das nun mal beim Fernwandern im allgemeinen und beim Pilgern im besonderen. Wann weiß nie so recht, was auf einen zukommt. Manchmal kommt man ins Fluchen, aber wenn man dann das Ziel des Tages erreicht, ist alles vergessen, und die Endorphine tanzen Rock’n’Roll.

In einem Garten in Weitnau: Muschel-Gruß für Jakobspilger

 

Alsdenn: Aller guten Dinge sind drei. Und es tut uns schon leid, daß wir nur drei Tage Zeit hatten. Eigentlich könnten wir jetzt noch wochenlang weiterlaufen. Denn die Sonne lockt uns, und das Grün bricht sich im Allgäu mit Macht Bahn. Das ist für mich die schönste Zeit des Jahres: Wenn ich wieder drüber staunen kann, wie viele Grüns es gibt. Und jede Schattierung dieser Farbe tut mir und meiner Seele einfach gut.

Der „Goldene Adler“ hat uns am Dienstagabend gottlob aufgenommen und ein tolles Essen serviert. Am Mittwoch hat er Ruhetag. Und so gehen wir schräg gegenüber in die Dorfbäckerei Frommknecht zum Frühstück – und erleben eine tolle Überraschung: Da wird tatsächlich noch selbst gebacken! Um 22 Uhr fangen die Jungs an, erzählt uns die freundliche Verkäuferin. Und zum Kaffee und der Butterbrezel legt sie uns noch Versucherle von süßen Stückle. Rundum gemütlich ist es hier, und es fällt uns schwer aufzubrechen. Aber am Abend müssen wir ja (leider) wieder daheim sein.

Die Verkäuferin sagt uns auch noch, wie es nun am besten weitergeht: Über den Braut-und-Bahr-Weg (bei diesem Straßennamen kann man sich schon seine Gedanken machen) geht es erstmal Richtung Kirche, dann hoch zum Skilift, und dort startet der Carl-Hirnbein-Weg. Bis heut hab ich nicht gewusst, wer dieser Carl Hirnbein überhaupt ist. Aber in der Bäckerei hab ich während einer Butterbrezel gelernt, dass er den Emmentaler ins Allgäu gebracht hat. Und damit die Armut der Flachsbauern besiegen half. Milch und Käse dominierten nun, aus dem „blauen“ wurde das „grüne“ Allgäu, wie wir es jetzt kennen.

„Eine Parallele zur Schwäbischen Alb“, denke ich mir. Wobei wir es mit dem Käs nicht so weit gebracht haben. Bei und löste das Streuobst den Flachs ab. Aber erst jetzt verstehe ich, warum Eduard Mörike von der Alb als „blaue Mauer“ gesprochen hat. Er blickte noch auf Flachs. Wir jetzt auf Obstwiesen und Weinberge.

Carl Hirnbein hat es aus kleinen Anfängen zum Großgrundbesitzer geschafft und mit dem Grüntenhaus das erste Hotel im Allgäu überhaupt gebaut. Dabei hatte er aber wohl immer eine soziale Ader. Vermutlich deswegen wird er in Weitnau, wo er starb, noch geradezu verehrt.

Unser Weg führt erstmal nach Wilhams, wo Hirnbein das Licht der Welt erblickt hatte. Zuerst geht es aber über den Hirnbein-Weg durch einen herrlichen Wald, und ich bewundere wieder die Allgäuer, die es auch hier geschafft haben, Themenwege nicht wie einst stinklangweilig und im Fachchinesisch auszugestalten, sondern höchst unterhaltsam und dazu noch toll informativ. Mit Freude lese ich hier jede einzelne Tafel.

Als wir den Wald verlassen, wartet wieder eine Szenerie auf uns, die uns erklärt, warum Hirnbein wohl auf Idee kam, das Schweizer Erfolgsmodell Käse nach hierher zu transplantieren. Würde man mich hier mit verbundenen Augen aussetzen, die Binde abnehmen und mich fragen, wo ich bin, ich würde wohl sagen: im Emmental.

Dann kommen wir in Wilhams an. Hier wurden wohl dereinst große Träume vom Tourismus geträumt, eine Skischule gibt’s. Aber die ist vermutlich für Allgäu Grundschulklassen und blutige Anfänger geeignet, aber nicht für das Hulligulli, das heutzutage angesagt ist. Und im Sommer ist erst recht tote Hose. Und so kommen wir uns vor wie in einem Geisterdorf, als wir die letzten beiden Kilometer in Angriff nehmen: alles ist zu: das Sportgeschäft, die Wirtshäuser und so weiter und so fort.

Ist Pilgern eine Eselei? Trotz der Gefährten am Wegesrand bei Wilhams finde ich: absolut nicht!

An der Haltestelle kurz vor Missen steigen wir dann in den Bus. Bis zum Bahnhof in Immenstadt sind wir die einzigen Gäste des superfreundlichen Busfahrers (der unterwegs sogar anhält, um eine Mutter zu fragen, ob das Handy, das er gestern in seinem Gefährt gefunden hat, vielleicht deren Tochter gehöre), und bei der Zuckelei über die Dörfer frage ich mich, was dieser Winkel des Allgäu denn heute nur wäre ohne den Tourismus.

Der Nahverkehr ist auf jeden Fall gut vernetzt, und das zählt zu den großen Pluspunkten. Auch nach einer Kurz-Pilgerwanderung kommt man wieder gut nach Nürtingen. Und das einzige, das wirklich nervt, sind die unrealistischen Zeitangaben auf den Markierungstafeln (siehe Etappe 2).

Aber sonst kann ich den Allgäuer Jakobsweg nur jedem und jeder empfehlen.  Vielleicht gehen wir ja eines Tages wirklich weiter Richtung Lindau.