Auch in eher mittleren Höhenlagen kann es alpin zugehen – das spürten wir auf dieser Etappe der Via Transalpina.

So anstrengend die vorige Etappe war, so lustig beginnt der neue Tag: der Senior-Chef des Weißen Löwen serviert das Frühstück und läuft zu Hochform auf. Es macht ihm, Jahrgang 1939, sichtlich Spaß und stolz, seine Deutschkenntnisse zu demonstrieren: Schließlich war er lange Zeit Skilehrer auf dem Naßfeld in Kärnten und hat von dort einen guten Freund aus Hamburg.

Ein fröhlich-freundlicher Gastgeber: der Seniorchef des Albergo Leon Bianco in Moggio Udinese.

Er wuselt hin und her und her und hin, ab und auf und auf und ab und empfiehlt uns wärmstens die von seinen Neffen persönlich gebackene Torte.

Und er kennt eine alte Frau ganz in der Nachbarschaft die uns vielleicht helfen kann: mein Rucksack zeigt nämlich (obwohl Marke Deuter) gravierende Schwächen. Der linke Träger hat sich vor eineinhalb Tagen zur Hälfte gelöst. Christine hat ihn auf dem Weg zum Monte Mezzodi die mit einem zufällig mitgenommen und Nähset notdürftig befestigt. Aber das trug im wahrsten Sinne des Wortes nur bis zur Glagno-Schlucht.

Den Rest der via Transalpina hält es auf gar keinen Fall durch. So sind wir auf der Suche nach einem Schumacher (gibt es im Moggio nicht) beziehungsweise einer Schneiderin. Ein Glücksfall, denken wir, dass unser Wirt auf die Idee gekommen ist. Aber die alte Frau sagte gleich: „Großes Problem, das wird nicht einfach!“. Und so müht sich Christine selbst eine Stunde mit einem von ihr geschenkten stärkeren Faden ab. Ich könnte das nie und nimmer und kann ihren Frust über diese Fitzel-Arbeit verstehen. Und bin ihr sehr dankbar dafür.

Durch diese Aktion kommen wir erst gegen Mittag von Moggio weg. Das stört uns nicht, weil heute eh nur eine eher kurze Etappe ansteht.

Zunächst müssen wir nochmals das ganze unter Dorf („Moggio di Sotto“), dann geht es über den Fella-Fluss, dessen Name gleich dreimal angeschrieben ist: in der italienischen, friulanischen und österreichischen Version.

Ich entdecke noch einen Trümmerteil der alten Eisenbahnbrücke, die von den Italienern auf ihrem Rückzug im Herbst 1917 in die Luft gesprengt wurde, um den Vormarsch der Österreicher in Richtung friulanischer Ebene zu verzögern, und sinniere über den Unsinn dieses uund aller Kriege: Die Österreicher hier und die Deutschen an der Westfront standen weit im „Feindesland“ und haben dennoch verloren.

Dokument des Wahnsinns: der Rest der im Ersten Weltkrieg von den Italienern gesprengten Fella-Brücke.

„Im Felde unbesiegt“ – die Wurzel der Dolchstoßlegende und (gemeinsam mit den Verträgen von Versailles und Trianon) der Chancenlosigkeit der der Demokratie in den Verlierer-Ländern.

An der ehemaligen Ravorade-Alm haben wir die ersten 200 Höhenmeter geschafft – aber auch wir sind von der Gluthitze geschafft. Wir essen ein bissle, trinken viel und wollen dann eigentlich unter einem Baum ein Mittagsschläfchen halten. Mir gelingt das auch, aber Christine kriegt in der stechenden Hitze Beklemmungen, so dass es ihr lieber ist, weiter aufzusteigen.

Kurzer Zwischenstopp an der Ravorade-Alm.

Heute wird unsere maximale Höhe mit 759 Metern angegeben, aber bevor wir oben auf eine Kaltluftschneise stoßen, müssen wir noch über ein Schotterfeld, dessen Mitte abgebrochen ist, so dass wir erst bergab und dann wieder bergauf müssen. Obwohl wir jetzt in den Julischen Voralpen sind und die Höhen unseres Weges eher der Schwäbischen Alb entsprechen, hat das Ganze doch ein alpinen Charakter.

Man glaubt es kaum: Schotter im Mittelgebirge!

Und wir spüren auch, wie wasserarm die Gegend hier ist. Besser gesagt: die Oberfläche. Das fällt uns besonders auf den Wiesen von Borgo Cros auf, das 1955 verlassen und vom katastrophale Erdbeben 21 Jahre später fast zerstört wurde. Ein paar Häuser wurden im neueren Stil wieder aufgebaut Und dienen nun als Feriendomizil (wegen der großen Tische nehme ich an, vielleicht für Großfamilien oder Jugendgruppen), aber das Wassersystem ist dasselbe geblieben: Man sammelt das Regenwasser vom Dach, leitet es in Zisternen oder Ziehbrunnen. Und die sind mit Vorhängeschlössern gesichert. Wasser ist hier halt ein kostbares Gut.

Romantik im verlassenen Borgo Cros.

Der Weg nach unten zieht sich wieder, aber als wir unten sind, stoßen wir dann doch wieder auf einen herrlichen Wildfluss: die Resia. In deren Tal (beziehungsweise auf den Höhen darüber) müssen wir morgen.

Herrlicher Wildfluss: die Resia.

Zu unserem eigentlichen Ziel für heute müssen wir noch 20 Minuten der Straße entlang gehen und erleben in Resiutta, wie zweifelhaft Internetportale wie TripAdvisor oder auch Google dann doch sein können. Wir streben voller Vorfreude gleich der Bar Al Buon Arrivo zu. In den Netz-Bewertungen wollte von den friulanischen Hähnchen nur so geschwärmt, die auch so verführerisch duften, als wir die Staatsstraße zwischen Routine und Kärnten klären.

Trotz des Straßenlärms sind wir guter Dinge, die Sache hat einen Hauch eines Motels an einen amerikanischen Highway, aber wir werden ziemlich enttäuscht. Das sollen 4,5 von fünf Sternen sein?

Mein Beefsteak wird mit jeder Minute zäher, Christines Hendl scheint schon in die Jahre gekommen gewesen zu sein, bevor es das Zeitliche segnete. Von spezielle friulanischen Gewürzen oder Zubereitungsart ist auch nichts zu spüren – kurzum: ein ziemlicher Flop. Wir haben in Friaul schon wesentlich besser gegessen. Also: Nicht immer den Internet-Bewertunhen trauen!

Auch unser Hotel Al Canin ist eher ein Motel. Eine Viertelstunde müssen wir noch auf dem Alpe Adria-Radweg hinlaufen, nachdem ich mir an dem Highway noch ein Gelato gegönnt und wir beide einen fantastischen Abendhimmel bewundert haben: Berge in Flammen.

Und wir schlafen dann auch erstaunlich gut trotz des Radaus direkt unter unter unserem Fenster.

Gegangen am 25. Juli 2018

Geschrieben am 25. Juli 2018

Länge: etwa 10 Kilometer

Reine Gehzeit: etwa drei Stunden

Höhenunterschiede: je etwa 500 Meter auf und ab

Link in Komoot: https://www.komoot.de/tour/40068674

Informationen zur Region: http://www.turismofvg.it