Auf unerwartetes Echo ist meine Betrachtung über das Dunkel in der Außerferner RUNDSCHAU gestoßen – für mich Inspiration und Ansporn, sie auch hier auf meiner eigenen Homepage zu veröffentlichen. Denn es handelt sich um ein zeitloses Thema: Immer wieder in unserem Leben sind wir vom Dunkel umfangen. Mal mehr, mal weniger.

Hallo, griaß enk! Hier bin ich schon wieder. Ich weiß, Ihr mögt mich nicht sehr. Ihr tut alles, um mir zu entfliehen. Ihr tut alles, um mich zu besiegen. Ihr tut alles, um mich in ein schlechtes Licht zu rücken. Und dennoch begleite ich Euch durch jeden einzelnen Tag Eures Lebens.

Der Drache im Dunkel von Gangtok, der Hauptstadt des indischen Bundesstaates Sikkim.

Gerade jetzt spürt Ihr das ganz intensiv. Und lehnt mich umso mehr ab. Aber trotzdem: Hallo, griaß enk! Ich bin das Dunkel. Euer Dunkel.

Früher wart Ihr nicht so streng mit mir, vielleicht waren wir sogar befreundet. Ich glaube, Eure Altvorderen in der so genannten „guten alten Zeit“, von der Ihr immer so schwärmt (naja!), waren ganz froh an mir.

Wenn ich kam, mussten sie sich nicht mehr den lieben langen Tag auf der Alm, auf dem Feld oder im Wald den Buckel krumm schaffen. Jetzt konnten sie endlich mal ausruhen, durchschnaufen und eine Atempause einlegen.

Endlich mal nix tun!

Aber was ist in den vergangenen eineinhalb Jahrhunderten passiert? Ich finde es ganz und gar nicht fein, wie Ihr mittlerweile mit mir umgeht!

Früher eine Lichtstube im ganzen Dorf, dann eine einzige Stube mit Licht im Hof oder Haus – das habe ich ja noch verstanden. Aber dann? Ihr leuchtet heute noch den letzten Winkel aus und meint dann, Ihr seid erleuchtet. Die Städte hängen ihre Straßen, Gassen und Fußgängerzonen voller Laternen und Lampen, damit sogar die lieben Engelein vom Himmel aus sehen, wo Belgien oder Eure Metropolen New York, London oder Kalkutta liegen. Nur im endlosen Sibirien, in den Weiten Kanadas und im Großteil des armen Afrika habe ich noch echte Fans. Da darf ich, das Dunkel, noch wirklich ich sein.

Lichtermeer im Chinarestaurant an der Ecke First Avenue/Sixth Street in New York.

Jetzt um diese Zeit geht es mir Jahr um Jahr gar nicht gut. Ihr hängt Lichterketten und Lichtgirlanden an jeden Haken, der nur an irgendeiner Hauswand, einem Balkon, auf einer Terrasse oder an einem Gartenzaun zu finden ist. Schließlich sollen Rudolph, das rotnasige Rentier, und dieser Santa ja wissen, wo sie hin müssen. Und auch die Einkaufstraßen leuchten, damit die Kassen klingeln.

Die Ironie der Geschichte: Vor lauter künstlichen Licht, das Ihr hier installiert, sehr Ihr die echten Sterne am Himmel gar nicht mehr. Lichtsmog, sagt Ihr ja dazu.

Vermutlich würdet Ihr den Engel gar nicht mehr registrieren, der Euch mitten im kalten Winter wohl zu der halben Nacht große Freude verkündet. Oder ihn für eine Lasershow halten.

Aber jetzt muß ich aufpassen: Das klingt wieder wie eine endlose Jammerei. Aber das will ich gar nicht. Denn ich mag Euch schließlich. Ich finde nur: Auch das Dunkel sollte sein Licht nicht unter den Scheffel stellen. Ich wünsch mir halt einen klein wenig anderen Blick auf mich.

Vielleicht haben wir es ja nur so schwer miteinander, weil jeder von Euch auch seine dunkle Seite hat. Das ist für mich weniger erschreckend als tröstlich. Wenn es anders wäre, wäre es schlicht unmenschlich, ja unerträglich.

Die meisten von Euch hier im schönen Tirol glauben ja an Gott. Oder versuchen es zumindest. Aber mal ehrlich: Wo begegnet Ihr Eurem Gott denn? Ich glaube, die meisten von Euch haben ihn nicht gerade „on the sunny side oft the street“ getroffen.

Gott will im Dunkel wohnen“, hat Euer Dichter Jochen Klepper mal geschrieben. Nicht „kann“, nicht mal einfach „wohnt“, sondern „will“. Wenn es mich nicht gäbe, wäre er quasi heimatlos und gegenüberlos.

Dunkel über der Newa in St. Petersburg.

ICH bin seine Brücke zwischen Euch und ihm. Als er Himmel und Erde schuf (und ich – nebenbei bemerkt – zuerst da war, hat er mich nicht ausgerottet, sondern mir das Licht und mich dem Licht zur Seite gestellt. Wir gehören zusammen: Das Licht und ich. Ihr und ich.

Vielleicht schaut Ihr gerade jetzt im Advent mal mit etwas anderen Augen auf mich. Eurem Dichter und Sänger Reinhard Mey ist das mal ganz gut gelungen:„Für kurze Zeit erlöst die Nacht den Kranken von seinem Leid / und schließt die Augen dem Betrübten über alle Traurigkeit / und dem Verzweifelten, der ohne Trost und ohne Hoffnung ist / schenkt die Erschöpfung doch Vergessen, wenigstens für kurze Frist. / Und der Verfolgte ist geborgen / in Dunkelheit, die bis zum Morgen / den Mantel schützend um ihn tut. / Alles ist gut, mein Kind, alles ist gut.“

Im Dunkel auf der Piazza dell‘ Unita in Triest.

Jetzt im Advent habt Ihr ein paar Stunden mehr Zeit, Euch unter diesen schützenden Mantel zu begeben. Ihr habt ja meine guten Freundinnen zur Seite: die Adventskerzen. Die wollen mich nicht verdrängen, nicht vernichten, sie gehen achtsam, zärtlich mit mir um. Und geben gerade dadurch denen Hoffnung, die fürchten, vor mir gäbe es kein Entrinnen. Ihnen Schwester mache ich dann gern Platz in diesen Wochen.

Eine einzige Kerze macht Mut – hier in der evangelischen Stephanskirche von Lindau.

Ich bitte Euch daher: Seid nicht so streng mit mir – und seht mich, das Dunkel, ab und zu aus einer anderen Sicht. Und in einem anderen Licht.

Das wär schön.