Nach der eher bescheidenen Nacht mit den Schnarch-Schäfer-Stündchen im Rifugio Brunone steht nun der erste Einschnitt an: Unser Auto steht ja noch am Campingplatz Aquafraggia bei Chiavenna.

Irgendwie müssen wir das ja mal hinterher holen, schließlich sind das rund hundert Kilometer. Also haben wir schon beim Ruhetag am Rifugio Fratelli Longo entschieden, hier den Sentiero Orobie abzubrechen und eine „Kulturpause“ in Bergamo einzulegen.

Das heißt: Wir steigen ab der Brunone erstmal ab. Nicht wie zunächst gedacht, vom halben Weg zur nächsten Hütte (Rifugio Coca), sondern direkt nach Fiumenero. Das hat uns der Hüttenwirt empfohlen – und zugleich gesagt, in drei Stunden seien wir unten.

Von nun an geht’s also bergab. Zumindest heute. Wir verplaudern uns zwar ein bißle mit den beiden holländischen Girls, die wir am Tag zuvor auf dem Passo Valsecca und dem Bivacco Frattini kennengelernt haben, aber kommen immerhin noch um 8 weg.

„Um 11 im Tal“, denke ich mir: „Super, da kriegen wir sicher noch einen günstigen Bis nach Bergamo.“ Doch die Zweifel wachsen viertelstündlich. Von unten kommen mir jede Menge Gazellen entgegen (die  Nord-Italiener sind absolute Berglauf-Fans, im Sommer sind hier an jedem Wochenende irgendwelche Wettkämpfe), während ich Ihnen von oben als Schildkröte begegne.

Ich dachte, der Abstieg heute sei ein eher lockeres Ding. Aber einmal mehr hab ich mich getäuscht. Die Chaos-Nacht steckt mir wohl doch in den Knochen, ich registriere Konzentrationsstörungen, komme an Stellen ins Wackeln, die ich normal traumhaft sicher schaffe.

Und während ich sonst eher damit hadere, wann ich endlich oben an der Hütte bin, frage ich mich jetzt fast von Schritt zu Schritt: Wann kommt endlich dieses verdammte Tal?

Auf jeden Fall: Noch lange nicht! Die Sonne sticht, und daher ist sogar jeder Meter bergab ein Kampf. Hätte ich mir nie vorstellen können. Als wir einige Familien entdecken, die an einer Brücke den Samstag genießen und sich im Wildbach erfrischen, schlagen wir zu: Jetzt bin sogar ich damit einverstanden, eine Pause einzulegen und in das kalte (nicht kühle) Nass zu sitzen. Falls tatsächlich nur zwei Busse am Tag fahren, ist das Thema Bergamo eh gegessen.

Dann weiter bergab, und es scheint kein Ende zu nehmen. Unterwegs hat uns ein älterer Herr, dem wir zwei Stunden zuvor schon begegnet sind, übersprintet (und zwar schon wieder von oben!), der sagte Fiumenero liege auf etwa 1000 Meter. Als wir endlich entkräftet unten ankommen, sehen wir der Wahrheit ins Gesicht: 700. Was im Umkehrschluß heißt: 1600 Meter Abstieg stecken uns in den Knochen!

Der Nahverkehr ist hier freilich viel besser, als oben angekündigt. Es fährt tatsächlich noch ein Bus aus dem Nest Fiumenero Richtung Bergamo. Um 15 Uhr. Wir sitzen noch vor dem Albergo mit offensichtlich guter regionaler Küche (www.albergoristorantemorandi.com), in dem ich mir auch hätte vorstellen können, die Nacht zu verbringen (die Speisekarte klingt auf jeden Fall sehr vielversprechend)und richten den Blick hoch auf die Teufelsspitze (Foto), die uns die vergangenen beiden Tage begleitet hat, und steigen dann in den Pullmann Richtung Bezirkshauptstadt.

Per Tripadvisor hab ich das Hotel La Castellana in der Unterstadt von Bergamo gefunden. Alter Hinterhof, modernes Ambiente. Und der junge Chef gibt uns auch Tipps zum Abendessen. Wir haben die zweite Luft gekriegt und entscheiden uns, noch in die Oberstadt zu gehen beziehungsweise mit der Standseilbahn zu fahren. Ein großes Vergnügen.

Und das Restaurant Circolino ist eben nicht die von mir befürchtete Touristen-Nepp-Empfehlung, sondern von einer Studenten-Kooperative betrieben. Lokale Weine, lokale Gerichte, freundlicher Service und eine fantastische Gartenwirtschaft. Christine entscheidet sich für eine leckere Vollkorn-Pizza, ich will einen Salami- und Speck-Teller, aber ohne Polenta (davon hatte ich nun die ganze Woche wahrlich genug).


Er kommt mit Polenta. Aber der Irrtum ist ein Glücksfall. So eine gute Polenta hab ich in meinem ganzen Leben noch nie gegessen.

Gegangen am 5. August 2017

Geschrieben am 12. August 2017

Start: 8 Uhr

Ziel im Tal (Fiumenero): 14 Uhr

Höhenunterschied: 1600 Meter Abstieg

Übernachtung: Hotel La Castellana; garni; exzellentes regionales Frühstück; gute Tipps für die Stadt vom freundlichen (gut Englisch sprechenden) Wirt; toll in der Innenstadt gelegen; hundefreundlich; www.lacastellanabergamo.it; Informationen zur Stadt unter www.visitbergamo.net/de