Freitag, 16. Juli: Heute wollen wir es mal gemütlich angehen lassen. Eigentlich haben wir gestern bis zum Biwak nur etwas mehr als die Hälfte der im Rother-Wanderführer von Iris Kürschner und Dieter Haas beschriebenen Strecke zurückgelegt. Und Steigung haben wir heute überhaupt keine zu erwarten.

So frühstücken wir noch gemütlich mit Andreas Kiepert und seinem Sohn Anton, mit denen wir unser Nachtquartier geteilt haben, verabschieden sie mit besten Wünschen in Richtung Passo Paschiet und hoffen, daß der 14-jährige Anton seinen Traum wahrmachen kann: auf dem Rocciamelone, dem höchsten Wallfahrtsberg Europas zu stehen – und dort auch etwas zu sehen. Ich wäre das Risiko nicht gegangen.

Ach ja, und ein Bitte hätte ich auch noch: Die beiden wollen ihre letzte Nacht vor dem Rückflug nach Berlin in Usseaux verbringen. Im urgemütlichen Posto Tappa Pzit Rei von Anna Jahier und Claudio Challier mit seiner fantastischen Küche hab ich im vergangenen Jahr meine Wanderstöcke vergessen. Die könnten die beiden mir doch wieder besorgen!

Was ich als Witz dahingesagt habe, wurde vor ein paar Tagen Wirklichkeit: In meinem Büro bei der Nürtinger Zeitung erreichte mich ein Paket. Inhalt: Meine heuer so sehr vermissten Leki-Wanderstöcke. Ein guter Journalist und Kollege, wie der Andreas es ist, hält eben, was er einem verspricht. Und daher soll das auch heute im Blog nochmal ausdrücklich gelobt werden.

Christine hat noch Zeit zum ausgiebigen Morgen-Yoga, Arco erkundet die Gegend, ich hab genügend Zeit, um erfolgreich mit meinem Schlafsack zu kämpfen und ihn in seine Hülle zurück zu bugsieren. Das Wetter ist herrlich, und so genießen wir den Abstieg hinab zu den Laghi Verdi. Die „grünen Seen“ machen ihrem Namen heute alle Ehre, und einmal mehr staune ich drüber, wie viel Wasser es hier gibt und wie klar es ist.

Tut immer gut: ein kühles Fußbad in den klaren Bächen der Grajischen Alpen

Und so nutzen wir gern die Gelegenheiten, in den klaren Bächlein hier unsere Füße zu kühlen und dabei den Blick auf die herrliche Berge der Grajischen Alpen (der geografische Name der Bergwelt sagte uns zuvor eigentlich gar nichts) schweifen zu lassen. „Druidenstein“ hab ich einen Fels genannt, der auf einem schmalen Grat hoch über uns zu balancieren scheint. Den muss Obelix persönlich hier hoch bugsiert und dort so spektakulär plaziert haben.

Er fasziniert mich einfach: mein „Druidenstein“ balanciert elegant auf der Kante. Obelix muss ihn dort hoch bugsiert haben – weit über die Laghi Verdi hinaus

Flott und entspannt geht es heut voran, über die Alpe Caravella und die Pian Salé kommen wir der Zivilisation näher, und als ich die ersten Häuser vor mir sehe (sie gehören zum Weiler Fré) kann ich nicht anders: Ich muß es Vater Kneipp gleich tun, ziehe mich aus, steige in den Bach, der vom Passo Paschiet, über den wir uns gestern gekämpft haben, herunterquillt, werde unweigerlich an meine Kindheit erinnert, als ich mit meinem Vati an Tagen wie diesen ganz einfach in die Rot bei Täferrot oder auch einen Wildbach bei Torre Pellice im Val Sugana gestiegen bin. Nicht nur wegen des kalten Wassers fühle ich mich daher wohl in diesem Moment jung. Sondern auch, weil diese schöne unbeschwerte Zeit mit einem Vater, der mir viel gegeben hat, wieder vor meinem inneren Auge auftaucht.

Nun ist es nur noch ein Katzensprung nach Balme, wo der alpine Tourismus Italiens seinen Ursprung hatte. Wer den verschlafenen, ja zum Großteil auch verlassenen Ort heute sieht, würde das nicht vermuten – aber viele Bergführer-Legenden, die die Gipfel ringsum das erste Mal erstiegen, stammen von hier.

Ein tolles Quartier: Lers Montagnards war früher die Villa des italienischen Generals Groveri. Heute ein Posto Tappa mit exzellenter regionaler Küche

Zum ersten Mal auf unserem 2013er-GTA-Abschnitt (und wie sich noch herausstellen soll, auch zum letzten Mal) sind wir frühzeitig im Quartier. Und in was für einem! Antonella und Guido Rocci haben vor einem Jahr die Villa des einstigen Generals und Militärarztes Groveri gekauft und zu einem Posto Tappa gemacht. Und so residieren wir feudal und urig zugleich. Und preiswert.

Denn was uns da an Essen geboten wird, das lässt einen nur so staunen. Beide sind excellente Köche, und sowohl er als auch sie macht jeden einzelnen Gang zum Glanzlicht.

Einfach ein Gedicht: der piemontesische Vorspeisenteller. Auf dem Speck: Kastanien in Honig

Schon der Piemonteser Vorspeisenteller (unter anderem mit Lardo, dem regionaltypischen Speck, der mir mit Kastanien und Honig serviert wird) ist einfach ein Gedicht, meine Heidelbeernudeln mit Nuss-Sauce sind nicht etwa eine Süßspeise oder ein Dessert, sondern ein fantastisches „Primo“ und lassen mich in Verzückungen geraten, und der Braten mit Steinpilzen auch ein grandioser Beweis für die exzellente Küche im Piemont.

Nach einem netten Gespräch mit den beiden sinken wir zufrieden ins Bett, freuen uns darüber, dass es am GTA doch auch noch Zeichen der Hoffnung gibt (auch wenn man sonst meint, durch eine untergegangene oder zumindest untergehende Welt zu wandern) und wünschen den beiden von Herzen alles Gute.

Zwei herzliche Gastgeber und fantastische Köche: Guido und Antonella Rocci vom Les Montagnards

Auch (oder gerade) wenn man nicht weiterwandert, sondern sich für ein paar Tage den kulinarischen Genüssen und der Herzlichkeit der beiden hingeben kann.

Wer es selbst testen will, findet hier Informationen: www.lesmontagnards.it.