15 Jahre sind es nun schon her, seit ich das letzte Mal in St. Petersburg war. Fast ein Dutzend Jahre, als ich mit Frieder Alberth zuletzt Aids-Projekte in der Ukraine besuchte. Das fällt mir auf, als ich im Januar 2018 unsere Visa für Russland beantrage. Eine lange Zeit also, die ich nicht mehr in diesem von mir geliebten Teil Osteuropas war.

Aber das soll sich ja jetzt ändern. Voller Vorfreude machen Wirkung auf den Weg, sind schon gespannt, was uns erwartet. Und der exzellente (von Marcus X. Schmid verfasste) Reiseführer aus dem Michael Müller Verlag macht uns so richtig Lust auf die Stadt an der Newa.

Die erste Reise dorthin habe ich ja mit dem Zug gemacht. Vor 20 Jahren hatte ich noch Flugangst. Heute brauche ich aber keine zwei Tage mehr dorthin. Ich steige nun (wenn auch nicht gerade euphorisch) in Stuttgart in die Swiss-Maschine, und nach einem dreistündigen Zwischenstopp in Zürich sind wir in abermals drei Stunden in Russland. Als wir in Pulkovo aus der Maschine steigen, denke ich: „Das war einer meiner schönsten Flüge.“ Es kann sich also auch etwas zum Guten verändern im Leben.

Da macht es auch nichts aus, dass die Dame an der Passkontrolle das alte grimmige Gesicht der Sowjetunion zeigt. Heute kann man über das lächeln, was einen damals ärgerte. Auch das ist eine Wende zum Guten.

Zudem: Der Taxifahrer(übrigens ein Inder, der von der Freundlichkeit der Russen schwärmt), den wir über Lingo Taxi bestellt haben, erwartet uns schon. Und bringt uns zu einem fairen Preis (etwa 22 Euro) zu unserem Domizil, dem Petro Palace Hotel. Auch hier werden wir herzlich empfangen, und von unserem geräumigen Zimmer im siebten Stock blicken wir auf die schneebedeckten Nachbarhäuser.

 

Der Blick aus unserem Fenster im Petro Palace Hotel

Wir sind nach der kurzen Nacht (um 2.45 Uhr Aufstehen) hundemüde, aber hinlegen? Das geht dann doch nicht!

Also erst mal raus, die Atmosphäre an diesem eher grauen Tag schnuppern! Hinein ins pulsierenden Leben – wir wohnen im Herzen der Stadt. Einfach toll!

Allerdings hab ich mich verschätzt: Nach meiner Erinnerung gab es an allen Ecken und Enden Wechselstuben – aber denkste!

Doch die vergebliche Suche führt uns ja auch an herrlichen Ecken vorbei. Das Jugendstil-Gebäude an der Roten Brücke über die (zugefrorene) Mojka ist renoviert und ein nobles Kaufhaus (Au Pont Rouge) mit Café im Erdgeschoss. Und da darf natürlich der russische Bär und die Matroschkas, die immer eine neue (russische) Mutti aus ihrem Bauch zaubern, nicht fehlen.

 

Bezaubernder Jugendstil: Au Pont Rouge

Unsere erste Begegnung mit Mischa, dem russischen Bären, und den Matroschkas

 

Russische Matroschkas

Auf Reisen in St. Petersburg

Aber nachdem wir uns mangels Rubel nicht einmal einen Kaffee leisten können, marschieren wir dann doch ins Hotel Renaissance in der Nähe der Isaaks-Kathedrale und bekommen einen aus meiner Sicht fairen Kurs (68,9 Rubel für einen Euro statt der 55,1, denen ich mich am Airport dann doch verweigert habe).

Mittlerweile ist es schon nach 18 Uhr (zwei Stunden später als daheim), und da wollen wir dann doch endlich was essen. Der Magen knurrt halt. In der Nähe ist ein Lokal mit dem typisch russischen Namen Paparazzi. Passt ja auch für einen Journalisten. Nach der Beschreibung im Reiseführer hätte ich gedacht, dass die Kellerbude brechend voll ist. Aber wir sind am frühen Samstagabend die einzigen Gäste.

Doch in seinem Urteil hat Marcus Schmid recht. Christine isst Soljanka, ich Pilzsuppe, später Blini (Christine mit Lachs, ich ökologisch unkorrekt mit Kaviar) – alles prima. Und wenn wir schon mal beim Inkorrekten sind – ich trinke Weißwein von der Krim…

 

Christine ist begeistert von der Soljanka – und ich von meiner Pilzsuppe

 

Russische Pilzsuppe

Meine (politisch-ökologisch inkorrekten) Blini mit Kaviar.

Was mich auch tief im Herzen freut: Ich spreche so gut wie kein Russisch, die junge Kellnerin so gut wie kein Englisch und rein gar kein Deutsch. Und dennoch kommt eine Konversation zustande, zum Teil zwar mit Händen und Füßen, aber wir verstehen uns doch prima. Sie freut sich, wenn ich ein paar rudimentäre Worte auf Russisch zu ihr sage, auch wenn meine grammatikalische und aussprachetechnische Fehlerquote gewiss im höchsten zweistelligen Prozentbereich liegt. Ich freue mich, wenn sie mir den riesigen Lachs aus Rußland (ihre Hände gehen so weit auseinander, dass man meint, sie beherrscht perfekt das Anglerlatein), den köstlichen Wein von der Krim und das gesunde Mineralwasser aus Georgien in höchsten Tönen anpreist.

Mir schießt durch den Kopf: Auch Russland gehört zu Europa. Zumindest Sankt Petersburg…

Und ich bin dankbar für diesen Tag.