Optimal war die Nacht im Rifugio Cauriol nicht. Mit dem einfachen Massenlager und dem Wendeltreppensteigen im Dunkeln komme ich auf meiner Via Pensionista eben doch nicht so zurecht. Zudem verheißt der Wetterbericht nichts Gutes: Spätestens um 15 Uhr soll es regnen, und wie immer auf der Translagorai, für den uns Bergführer Alessandro Beber tolle Tipps gegeben hat, haben wir eine lange Etappe vor uns. Wir müssen uns also sputen. Früh raus.

Der Wirt vom Rifugio Cauriol lehnt es zunächst ab, uns schon um 7 Uhr ein Frühstück zu servieren. Kann ich irgendwie auch verstehen. Sein Lokal ist so beliebt, daß auch Gäste vom Tal zum Abendessen hochfahren. Und die haben nun mal mehr Sitzfleisch als Wanderer, die am nächsten Morgen früh weg müssen.

Die zwei jungen Damen, die das Nachtlager mit uns geteilt haben, haben allerdings die glänzende Idee, bei der Nachbaralm, der Malga Sadole, anzufragen, ob da nicht was mit einem Frühstück drin wäre. Und in der Tat: Das klappt. Und der eigene Käse schmeckt  zum Milchkaffee auch ganz prima.  Kein Zweifel: Kulinarisch ist das ein ganz hervorragendes Plätzchen hier.

Ein toller Platz (nicht nur fürs Frühstück): die Malga Sadole

Wir müssen der Versuchung widerstehen, in aller Gemütlichkeit erst einmal sitzen zu bleiben (wobei Christine wie immer um diese Uhrzeit viel willensstärker ist als ich). Aber es hilft nichts: Wir müssen auf die Piste. Auch wenn sie (mal wieder) nicht meinen Lieblingsprofil entspricht: Es geht erst einmal hinein in eine enorme Steigung. Die jungen Leute, die nur kurz vor uns gingen (jetzt mit männlicher Verstärkung), rücken immer mehr aus unserem Blickfeld, bald sind sie entschwunden.

Dafür begegnen uns zwei Weidmänner. Offensichtlich eine Tirol-italienische Jagdgemeinschaft (es freut mich, daß das nach all dem sinnlosen Töten hier an der Alpenfront wieder möglich ist). „Wir gehen auf die Gams“, erzählen Sie uns und blicken wie wir prüfend zu den  schwarzen Wolken nach oben. Als wir sagen, wohin wir wollen, bekommt der eine einen Gesichtsausdruck, der nicht unbedingt Zuversicht in mir auslöst: „Zum Biwak? Das ist noch sehr weit!“

Und dennoch sammeln wir tapfer Höhenmeter um Höhenmeter. Die 620 bis zu unserer ersten Scharte, der Forcella di Canzenagol auf 2220 Meter schaffen wir bemerkenswert leicht, das Wetter sieht auch gar nicht slo mies aus, und so nehmen wir uns auch Zeit für ein Selfie in dieser herrlichen Natur.

Beim Selfie war das Wetter noch schön.

Eine halbe Stunde später treffen wir jedoch eine Fehlentscheidung: Wir bldeiben nicht auf dem unteren Weg 439B, sondern nehmen den auf der Karte kürzeren. 439. Ohne B. Und der führt nicht nur am Lago Brutto vorbei, sondern ist auch brutto (der italienische Ausdruck für „schlimm“). Der See selbst ist sehr idyllisch, aber das kann ich kaum genießen, da direkt dahinter ein fast senkrechter Aufstieg wartet.

Vom Lago Brutto geht es brutto (schlimm) hinauf

Da geht es nicht etwa in den von mir so sehr geliebten Serpentinen bergauf – sondern fast durchweg in der Direttissima. Ich komme gewaltig ins Schnaufen, zumal ich ja immer die Wettervorhersage im Hinterkopf habe. Und die Uhr tickt.

Oben auf der Moregna-Scharte wird dann der Frust noch größer, weil uns bewußt wird, daß der Kampf auf fast 2400 Meter im Grunde für die Katz war: Denn danach müssen wir von der Forcella di Morgen wieder 160 Höhenmeter hinunter, um auf denselben B-Weg zu treffen, auf dem wir schon mal waren. Für alle, die planen, ebenfalls die Translagorai zu gehen, daher der Tipp: Wenn man nicht unbedingt Höhenmeter sammeln möchte – besser unten bleiben, der Weg ist weit genug.

Hier wird dann aber das Wetter zunehmend mieser. Zu den Wolken gesellt sich ein kalter Wind, der Unheil ankündigt. Und nun wandre – besser: haste – ich voran. Nach den Erfahrungen der ersten Translagorai-Etappe habe ich keinen Bock, schon wieder triefend naß in einem Notquartier anzukommen.

Nach der Moregna-Scharte wird das Wetter immer mieser

Und tatsächlich: Während der letzten Steigung zum Bivacco Paolo e Nicola auf 2180 Metern an der Valmaggiore-Scharte winkt mir eine der jungen Damen fröhlich von der Hüttentür aus zu. Wir haben es geschafft! Rechtzeitig!

Ein erstaunlich gemütliches Quartier: das Bivacco Paolo e Nicola

Als wir durch die Tür gehen, sind wir baff erstaunt: Kein Vergleich zu unserem ersten Biwak kurz vor dem Manghen-Pass! Alles sauber. Die Ausstattung ist top. Es gibt sogar Essensvorräte (die wir nicht  in Anspruch nehmen, sondern unseren eigenen Käse-Vorrat, den wir auf der Sadole-Alm mitgenommen haben, gleich vervespern). Es gibt genügend Holz zum Heizen. Auch wenn Decken fehlen: Unsere Schlafsäcke tun  es auch. Und so erleben wir das am Abend hereinbrechende Gewitter in wohliger Wärme und Gelassenheit.

Gegangen am 19. August 2017

Geschrieben am 10. September 2017

Start: 7.45 Uhr

Ziel: 15 Uhr

Höhenunterschied: 1160 Meter auf, 400 Meter ab

Übernachtung: Bivacco Paolo e Nicola; Notunterkunft, aber gemütlich und gut ausgestattet; keine Decken; Frischwasserquelle etwa fünf Minuten entfernt.

P1060179

Informationen über das Wandern in den Lagorai unter www.visitvalsugana.it

Informationen zur Region gibt es unter gibt es unter https://www.visittrentino.info/de