Mal ganz ehrlich: Haben Sie schon mal von Sens gehört? Ich oute mich: Ich nicht, bevor ich mich mit der Reiseroute für unsere erste Camper-Tour befasst hatte. Sie führt nach Burgund, und Sens ist unsere erste Station. Aber bevor wir aus Paris und Chartres hier eingetroffen waren, hätte ich mir nie vorstellen können, was uns da erwartet. Was? Nun zumindest aus meiner Sicht eine der bedeutendsten Kirchen der Christenheit.

Ob sie nun die erste oder zweite gotische Kathedrale Frankreichs war, darüber mögen sich die Bauhistoriker und Statistiker streiten. Begonnen wurde hier um 1130, etwa drei Jahrzehnte, bevor man sich an Notre Dame in Paris machte. Aber das ist im Grunde zweitrangig. Es zählt allein der subjektive Eindruck, wenn man vor diesem Gotteshaus steht, das schon Victor Hugo zu einer Lobeshymne über die geniale Verbindung zwischen Spiritualität und Verstand veranlasste. Ich kann ihn verstehen.

Schon die Portale schlagen einen in den Bann. Auch weil hier ebenfalls Religiosität und Wissenschaft einen Dialog miteinander führen. Da sieht man biblische Szenen aus dem Leben Johannnes des Täufers oder das Gleichnis der Klugen und Törichten Jungfrauen neben Fabelwesen, Allegorien auf Tugenden und Untugenden wie Geiz und Freigiebigkeit. Und selbst exotische Tiere wie ein Dromedar oder ein Elefant sind mit von der Portal-Partie.

Und drinnen wird dieses Wunder noch getoppt. Man kann das Bestreben des „Meisters von Sens“ (sein richtiger Name ist unbekannt) schon auf den ersten Blick nachvollziehen: Christus ist das Licht der Welt, also sollte Licht in die düsteren Kirchen aus romanischer Zeit kommen. Schmal sollten die Fenster sein und wie die schlanken Säulen die Menschen nach oben ziehen. Und der Blick schweift immer wieder nach oben. Zum herrlichen Kreuzrippengewölbe.

Die prachtvollen Fenster waren zugleich Bilderbuch und Lehrfibel. Ein Tag reicht nicht aus, um all die Szenen zu entdecken und zu entschlüsseln, die einem da entgegenstrahlen. In einem Blau, dessen Geheimnis die Glaskünstler von damals mit ins Grab genommen haben. Die Wissenschaft könnte nur entschlüsseln, das das Kobalt, das sie verwendeten, aus dem sächsischen Erzgebirge stammte. Aber sie kamen nicht dahinter, mit welchem Trick sie dieses Leuchten schafften.

Man könnte unendlich von diesen Fenstern erzählen. Aber dazu reicht dieser Platz hier nicht. Deswegen soll es bei einem bleiben: Die Rosette aus dem Jahre 1528 am Nordportal lässt einen spüren, wie es im Himmel zugeht. Beim Engelskonzert wurden Instrumente verewigt, die damals am Aussterben waren – und erst neu erfundene mit dazu. So handelt es sich um einen Hauch des Paradieses und ein Dokument der Musikgeschichte zugleich.

Zur Kirchengeschichte gehört es, dass der Bischof von Sens im Mittelalter der zweitwichtigste nach dem Papst war. In der Person von Thomas Becket, der hier wirkte, im Clinch mit dem englischen König Heinrich II. (dessen Kanzler er war) lag und dann von Rittern in der Kathedrale von Canterbury (ein Teil wurde nach dem Vorbild von Sens erbaut) ermordet wurde, vermischen sich Kirchen- und Weltpolitik.

Auch skurrile Geschichten ranken sich um diese Kathedrale. So steht dort das Grabmal von Jacques Davy de Perron, der dem Vatikan glaubhaft machte, dass der siebte Religionswechsel des französischen König Heinrich IV. hin und zurück zum Katholizismus dann auch der letzte bleiben sollte, indem er als dessen Stellvertreter um Wiederaufnahme in den wahren Glauben bat. „Paris ist eine Messe wert“ – dieses geflügelte Wort soll auf ihn zurückgehen.

Übler erging es dem Vater des Erzbischofs Tristan von Salazar, dessen Figur auf dem Monument aus schwarzem Marmor gleich nebenan in der französischen Revolution geköpft wurde, obwohl es schon aus dem Jahr 1515 stammt. Der Arme!

Das Office de Tourisme hält über all dies einen Audioguide in deutscher Sprache bereit, dessen Text sehr lebendig, informativ und jenseits allen Fachchinesisch gestaltet ist. Es ist eine Freude, ihm zuzuhören.

Mit ihm kann man sich auch durch die Stadt lOsten lassen, die zwar schon bessere Tage gesehen hat. Aber vielleicht macht sie gerade dieser Charme des Verfalls, der auch das Abrahamshaus mit seinem beeindruckenden Fachwerk zeichnet, so liebenswert.

Auskunft zur Stadt: http://www.tourisme-sens.com

Übernachtung: Camping le Saucil in F-89500 Villeneuve-sur-Yonne. Einfacher Platz, aber toll direkt an der Yonn gelegen. Nur wenige Minuten zu Fuß ins Dorf. Sehr günstig. http://www.lesaucil.fr

Genießertipp: Restaurant La Lucarne aux Chouettes in einem stilvoll eingerichteten ehemaligen Lagerhaus direkt an der Yonne. Fantastische regionale Küche zu bezahlbaren Preisen. Drei-Gang-Tagesmenu mit weißem Spargel als Vorspeise, gerollter Rotzunge oder Nierchen als Hauptgang und frischer Fruchtsalat oder Pflaumentorte mit Vanille-Eis für 21,50 Euro.

http://www.lalucarneauxchouettes.fr