Einen Vorteil hat eine miese Nacht: Man kommt auch früh wieder los. Und so haken wir die Unbequemlichkeiten einfach ab. Los geht’s!

Gefrühstückt haben wir nichts. Aber das ist auch nicht weiter schlimm. Schon nach 50 Minuten erreichen wir das erste Zwischenziel: die Manghen-Hütte, von der ich in meiner Unbedarftheit beim schnellen Blick auf die Karte ursprünglich gedacht hatte, wir könnten dort übernachten. Gottseidank hat mich Lorenzo, der Wirt vom Rifugio Sette Selle, am Morgen davor aufgeklärt, daß dem keineswegs so ist.

Auf der Manghen-Hütte gönnen wir uns ein gutes Frühstück

Aber wenigstens  hat die Manghen-Hütte früh genug geöffnet, um dort ein Frühstück genießen zu können. Zum überraschend guten Café Latte (respektive Latte Macchiato) lasse ich mir einem Apfelstrudel schmecken (mir fällt auf, das ich davon auf meiner Via Pensionista sehr viel esse, nachdem ich diesem Gebäck ansonsten eher abhold bin), Christine schüttet ihre Haferflocken in die warme Milch.

Beeindruckendes Naturdenkmal: „der Ewige“ steht unerschütterlich

Auf jeden Fall sind wir gut gestärkt für den Weiterweg auf der herrlichen Route, die mir der hoch kompetente Bergführer Alessandro Beber vorschlagen hat. Schon nach einer guten Viertelstunde, noch vor dem Lago delle Buse, fasziniert mich ein Naturdenkmal: ein alter Baum, der seine Nadel komplett verloren hat. Aber seine Wurzeln, die er im Laufe der Jahrhunderte um einen mächtigen Felsblock gewunden hat, halten ihn dennoch fest. Stramm steht er da, unerschütterlich, sturmgeprüft, obwohl er aus menschlicher Sicht so etwas wie ein  Glatzkopf ist, wirft ihn so schnell nichts um. Ein schönes Bild, das mir die Natur da vor Augen gestellt hat. „L’Eterno“ („Der Ewige“) haben ihn die Einheimischen getauft. Und den Namen verdient er auch.

Romantische Spiegelungen in den klaren Teichen des Lagorai – hier im Lago delle Buse

Es ist wieder mal ein herrlicher Tag, wir können uns nicht satt sehen an diesem für uns so unbekannten Gebirge, das sich im Lago delle Buse (und vielen anderen mal größeren, mal kleineren) Teichen widerspiegelt, ein verrottender Baumstamm in den Moorwiesen kommt einem vor, als habe sich ein Krokodil dorthin verirrt.

Ein Krokodil in den Moorwiesen? Nein, nur vermodernder Baumstamm

Die Zeit verrinnt wie im Fluge. Besser gesagt: Wir merken gar nicht, wie sie auf der Translagorai, wie dieser Wanderweg heißt, vergeht. Ob sie still steht, verschwindet oder gar nicht existiert – wer kann dies in einer solchen Natur, in einer solchen Stimmung denn schon sagen? Und es spielt letztlich ja auch gar keine Rolle.

Auf der Forcella di Valsorda pfeift der Wind kalt

Erst lang nach Mittag meldet sich an der Forcella di Valsorda meldet sich auf 2256 Meter der Hunger. Und der kühle Wind, der uns bei der Jause umweht, macht uns so richtig bewusst, daß es schon relativ spät ist und noch ein gehöriges Stück Weges vor uns liegt.

Vor dem letzten Wegstück auf dem Passo Val Cion  nochmal die Seele baumeln lassen

Aber das ist gottseidank nicht allzu schwierig. Erst müssen wir zu den unteren Buse-Seen (hier heißt irgendwie alles Buse), dann wieder leicht hinauf zum Passo Val Cion (2076 Meter). Aber alles hält sich in Grenzen, nicht weiter schlimm. Und wir bewundern, wie drunten an den Hängen des Ornelle-Tales zwei Boarder-Collies ihre Kühe mit spielerischer Leichtigkeit hinüber zur Valsorda-Alm treiben (und der Hirt tut es ihnen federnden Schrittes gleich). Ich nehme mir trotz relativ später Stunde die Zeit zum Genießen. Lege mich hin, stelle die Beine auf und lasse die Seele baumeln.

Vom Fünf-Kreuze-Pass ist es nicht mehr weit bis zum Ziel

Der Forstweg hinüber zum Passo Cinque Croci (Fünf-Kreuze-Pass) bereitet nicht die geringsten Schwierigkeiten. Und hier erleben wir das zweite Schäfer-Schauspiel: Diesmal werden Schafe in Windeseile so um die 200 Höhenmeter fast vom Gipfel des Col di San Giovanni hinunter zu den Fünf Kreuzen (auf 2018 Metern) getrieben. Kaum zu glauben, wie schnell das gehen kann.
Malga Conseria

An der Malga Conseria starben im Ersten Weltkrieg viele junge Leute: Auf dem Soldatenfriedhof wehen nun die italienische und die österreichische Fahne.

In der herrlichen Abendstimmung steigen wir hinab zur Rifugio Malga Conseria auf 1848 Metern. Unsere Euphorie wird kurz vor unserem Nachtquartier etwas gebremst: Ein Soldatenfriedhof erinnert daran, daß vor hundert Jahren hier auch Menschen zuhauf starben. Die Italiener wollten den Fünf-Kreuze-Pass stürmen, die Österreicher verhinderten dies (ebenfalls unter schweren Verlusten). Es gab keinen „Sieger“. Wie gut, daß jetzt über den Holzgräbern auf dem kleinen Soldatenfriedhof bei Flaggen gemeinsam wehen…
Rifugio Malga Conseria

Rifugio Malga Conseria

Das Rifugio Malga Conseria überrascht uns sehr angenehm: Erst vor kurzem wurde die einstige Almhütte umgebaut. Die Wirtsleute sind sehr freundlich, Frau Wirtin kocht hervorragend (zum Beispiel eine ganz frische Zucchinicremesuppe), Anna, die sich als Bedienung ein paar Kreuzerle für ihre große Reise hinzuverdient, die sie nach dem Abi machen möchte, übt mit uns Deutsch-Sprechen (und kann das besser, als sie selbst meint), wir schlafen prima – und selbst die Hunde verstehen sich prima (die Selbst-Bezeichnung „dogfriendly“ trifft hier tatsächlich zu) und teilen sich eine Wasserschüssel.

Gemeinsam schmeckt es einfach

Gemütlich und zufrieden mit der eigenen Leistung klingt der Tag aus. Wanderer-Herz – was begehrst Du mehr?

Gegangen am 17. August 2017

Geschrieben am 4. September 2017

Start: 7.30 Uhr

Ankunft: 17.30 Uhr

Höhenmeter: 440 Meter auf, 660 Meter ab

Übernachtung: Rifugio Malga Conseria; vor kurzem renoviert; sehr schöne Zimmer; freundliche Wirtsleute; gute regionale Küche; www.rifugioconseria.it; Informationen über das Wandern in den Lagorai unter www.visitvalsugana.it

Informationen zur Region gibt es unter gibt es unter https://www.visittrentino.info/de