Durch die Mühen der Ebene mussten wir uns auf der ebenso langen wie eintönigen dritten Etappe unserer Pilgerschaft auf der Via de la Plata durch die Barros kämpfen. Am Ziel unseres nächsten Abschnitts wartet die erste größere Stadt auf uns: Mérida. Wie würde es uns heute ergehen?

Wir haben gut geschlafen und sind fest entschlossen, unseren beim Pommes-Abendmahl in der Cerveceria Casa Madrile am Vorabend gefassten Entschluss auch in die Tat umzusetzen: Da die Vorschau auf die heutige Etappe wieder nicht gerade glänzend aussieht, soll/will Christine mit dem Bus nach Mérida fahren und dort den sonnigen Tag genießen, während ich mit Arco zu Fuß gehe – Hunde sind im Bus ja eh nicht erlaubt. Google Maps gibt als Abfahrtszeit 9.33 Uhr an – aber als wir nach dem Frühstück zur Haltestelle kommen, steht dort erstens niemand und trifft auch 20 Minuten nach der vermeintlichen Abfahrtszeit immer noch kein Bus ein. Google weiß offenkundig eben doch nicht alles – irgendwie auch tröstlich. Auf jeden Fall der Tipp an alle, die uns folgen wollen: Diese Angaben bedürfen immer eines Gegenchecks – auch (wie wir ebenfalls leidvoll erfahren mußten) bei den Öffnungszeiten der Restaurants. Schon in den ersten Tagen unserer Pilgerschaft haben wir dort einige üble Überraschungen erlebt. Also: Vorsicht ist geboten. Vor allem, wenn man nicht mit knurrendem Magen ins Bett gehen möchte….

Nächste Variante: Arco und ich laufen los, Christine geht zur Tankstelle und versucht, von dort zu trampen. Wir verabschieden uns vom Dorf, das wir wohl kaum in bleibender Erinnerung behalten werden, hinaus in Olivenplantagen, und nach etwa einer Dreiviertelstunde stelle ich fest, daß ich eine Art Metzgersgang gemacht habe: Es geht nämlich wieder zurück zur Nationalstraße.

Zunächst geht es durch Olivenhaine.

Wäre ich der zu Beginn für nur zehn Minuten gefolgt, wäre ich genauso weit gewesen wie jetzt. Hund und Herrle folgen weiter der Nationalstraße 630, aber immerhin auf einem parallel verlaufenden Naturweg. Und als wir en paar Kilometer weiter die Autobahn überquert haben, sehe ich am Rand der aufgelassenen alten Variante der N630 an einem schönen Platz mit alten Bäumen, jeder Menge Frühlingsblumen, aber auch viel Müll plötzlich: Christine!

Mehr als zehn Tramp-Versuche waren erfolglos geblieben, so ging sie einfach weiter und hat uns während unseres Abstechers durch die Olivenhaine überholt.

T-Shirt raus aus dem Rucksack: Heute ist der erste richtig warme Tag.

Der erste Kilometer auf der aufgegebenen Asphalttrasse geht noch, aber dann wird es für drei Kilometer so richtig nervig: Es bleibt uns in der Tat nichts anderes übrig, als auf der N630 zu gehen. Unser Glück: Die hat einen breiten Pannenstreifen, und exakt neben ihr verläuft die wesentlich beliebtere Autobahn, so daß nur relativ wenig Autos an uns vorbeirasen. Die spanische (Un-)Sitte, jeden Privatgrund auch außerhalb der Ortschaften einzäunen zu dürfen, ärgert mich hier massiv, denn ich sehe auf der Karte von Alpevereinaktiv, daß durch das frisch erschlossene Gewerbegebiet nebenan wieder genau parallel ein Sträßlein verläuft, auf dem es viel ruhiger und gefahrloser wäre. Aber das Risiko, nach zwei Kilometern vor einem Stacheldrahtzaun zu stehen und dann wieder umdrehen zu müssen, ist mir dann doch zu groß.

Richtig nervig: die drei Kilometer entlang der Nationalstraße.

Auf der Höhe stoßen wir dann auf eine Dehesa und machen unter ein paar Steineichen Rast. Mir kommt Peter Scharfenberger , der mich gebeten hat, ihm ein paar Fotos aus diesen Lebensräumen, die für die Extremadura so typisch sind wie die Streuobstwiesen für das Schwabenland. Für beide (und ähnliche Landschaftstypen in ganz Europa) setzt sich Peter ein und möchte sie als Naturerbe unter den Schutz der Unesco gestellt wissen. Ich schieße ein paar Bilder und schicke sie ihn per Facebook-Messenger – und schon nach ein paar Minuten kommt die Antwort auf meine Frage, ob ich denn das Richtige fotografiert habe: „Ja, genau! Das Paradies war so eine Landschaft!“

Rast am Rande einer Dehesa.

Und durch die können wir nun, nachdem wir eine Holzhackschnitzelproduktionsanlage hinter uns gelassen haben, für eine gute Stunde schreiten. Ich begrüße auch die Tiere am Wegesrand, füttere den Esel, der sich so vertrauensvoll genähert hat, durch den Zaun und klopfe ihn auf die Wangen. Auch mit den Hunden, die im ersten Moment so wütend scheinen (zumal bei Arcos Anblick) halte ich Zwiesprache und meine, sie gäben mir zu verstehen, daß sie in Wahrheit gar nicht so böse sind, sondern eine (nicht zuletzt bei wahren Ruinengrundstücken) unsinnige Aufgabe zu erfüllen haben. Manche wedeln sogar bei aller vermeintlicher Attacke gleichzeitig mit dem Schwanz, andere schauen mich mit traurigen Augen an und wollen gar meine Hand beschnuppern. Ich denke mir: Wahrlich arme Hunde! Und sehe vor dem inneren Auge Parallelen zum aktuellen Weltgeschehen.

Und dann erblicke ich rechts des Weges in der Realität noch weitere gute Freunde: Eine Schafherde blickt mich neugierig an und nähert sich auch, als ich mich in der „Määääh“-Sprache mit ihnen unterhalte. Erst als Arco sich seiner Hütehunde-Vorfahren bewusst wird, drehen sie wieder um. Hund und Herr ergeht es wohl ähnlich: Ein Großteil meiner Vorfahren beiderseits waren Schäfer, und ich meine schon, daß irgendwo und irgendwie noch Schäferblut in meinen Adern fließt. Auf jeden Fall habe ich zu Schafen eine ganz besonders innige Beziehung.

 

Schon eine halbe Stunde später nähern wir uns dem Ufer des Guadiana – und damit Mérida. Es ist gegen 17 Uhr, und wir sind heilfroh, denn heute war für Tiroler Verhältnisse schon ein heißer T-Shirt-Tag – der erste auf dieser Tour. Wir sind wie in Cordoba begeistert von der alten Römerbrücke, freuen uns schon auf unser Quartier, das Hostal Anas – und erleben dort eine üble Überraschung: Obwohl ich am Morgen während unseres Telefonats vier Mal „con perro“ („mit Hund“) gesagt hatte, weist man uns ab, weil dort keine Tiere erlaubt sind. Unser nächster Versuch im Hostal La Flor de Al-Andaluz ist ebenso erfolglos. Dort dürfen Hunde zwar hinein, aber es ist kein Zimmer mehr frei. Der Concierge läßt uns kalt abblitzen, als wir ihn bitten, doch in anderen Quartieren für uns anzurufen – und erlaubt uns nicht mal, uns in der Lobby hinzusetzen, um selbst zu telefonieren. Das muß ich dann draußen vor der Tür auf einem Fenstersims sitzen selbst erledigen.

Freude beim Blick auf die Römerbrücke, aber Frust bei der Quartiersuche: Mérida wartet auf uns.

Der Rucksack wird mir jetzt doch ziemlich schwer. Aller guten Dinge sind jetzt nicht drei, sondern vier, denn nach drei Abfuhren bekommen wir dann im Hostal Las Abadias tatsächlich ein Quartier – zwar ein Stückle außerhalb der Altstadt. Aber immerhin wissen wir, wo wir schlafen können. Der Frust über unsere Lage ändert sich nun schnell und verwandelt sich in Begeisterung: Wir kommen nämlich an dem berühmten römischen Aquädukt vorbei, und im Scheinwerferlicht, in dem es jetzt bei Einbruch der Dunkelheit angestrahlt ist, herrscht dort eine schlichtweg wunderbare Atmosphäre, die durch die Störche, die oberhalb der Mauerkrone ihre Nester gebaut haben und uns heftig klappernd begrüßen, noch fantastischer wird.

Wir sind versöhnt mit dem Tag: Nächtliche Romantik am Aquädukt von Mérida.

Komplett wird unser spätes Glück auch dadurch, daß wir in der Altstadt, so schön sie auch war, auch kein akzeptables Restaurant gefunden haben. Unsere durch Google Maps genährte Hoffnung wird indes hier in der Vorstadt wird sogar noch übertroffen: Das Restaurant mit dem für Spanien doch recht ungewöhnlichen Namen Berlin 1989 hat nicht nur geöffnet, sondern offenkundig auch Spitzenköchinnen. Mein Entrecote vom Extremadura-Rind mit Kartoffeln und Gemüse, Christines Tintenfisch auf Ratatouille – einfach traumhaft.

Ein genussvoller Tagesausklang: Christines Tintenfisch auf Ratatouille…

… und mein Extremadura-Rind mit Kartoffeln und Gemüse im „Berlin 1989“.

Unser Zimmer, in dem wir dann doch recht spät ankommen, mieft zwar ordentlich nach Desinfektionsmittel – was aber zugleich ja bedeutet, daß hier für Sauberkeit gesorgt ist.

Noch eine Anmerkung zum Lokal: Uns hat nicht nur das tolle Essen begeistert, sondern auch das ganze Ambiente mit an Street Art erinnernder Kunst. Was mich besonders begeistert: eine Installation aus rund zehn aufgeschlagenen Buchseiten, auf die ein Bomber-Pilot Gitarren abwirft. „So etwas bräuchte man jetzt in der Ukraine“, denke ich mir.

Es regnet Gitarren statt Bomben: Street Art im „Berlin 1989“.

Und noch ein PS an alle Hundefreunde, die überlegen, es uns gleich zu tun: Wer seinen Vierbeiner mit dabei hat, sollte für Mérida unbedingt sein Zimmer vorbuchen und es nicht drauf ankommen lassen. Die meisten Hostals sind alles andere als hundefreundlich. Für die, die spontan etwas suchen, kann die Quartiersuche (wie für uns) ganz schön in Stress ausarten.

Ein dickes Minus für eine ansonsten wunderbare Stadt.

erlebt am 10. März 2022

Statistik:

Länge: 18,4 km
Dauer: 4,5 Stunden
Anstieg: 87 Höhenmeter
Abstieg: 156 Höhenmeter
höchster Punkt: 311 Meter
tiefster Punkt: 203 Meter

direkter Link zu Alpenverein aktiv hier.

Buchtipp: https://www.amazon.de/Spanien-Jakobsweg-Plata-Mozarabischer-OutdoorHandbuch/dp/386686440X/ref=sr_1_1?crid=3TY0F90UFT5TB&keywords=Raimund+Joos+Via+de+la+Plata&qid=1650636123&s=books&sprefix=raimund+joos+via+de+la+plata%2Cstripbooks%2C80&sr=1-1

Ein anderer toller Blog ist von Werner Kräutler.

Auch in Facebook findet sich eine sehr hilfreiche Gruppe.

Informationen zur Extremadura gibt es hier.

Informationen zu Mérida? Bitteschön!

Die vorigen Etappen findet Ihr hier:

Via de la Plata 2022 (1): Start in Zafra

Via de la Plata 2022 (2): Zafra – Villafranca de los Barros

Via de la Plata 2022 (3): Villafranca de los Barros – Torremejía

 


2 Kommentare

Manuela Martin · Mai 6, 2022 um 8:33 pm

Lieber Herr Gerrmann,
mir gefallen die Ausführungen und Beschreibungen zur Via de la Platta sehr gut. Ich bekomme sofort Lust meinen Rucksack zu packen und loszulaufen. BUEN CAMINO.
Ich freue mich schon auf die weiteren Etappen
Manuela Martin

    Jürgen Gerrmann · Mai 7, 2022 um 8:40 am

    Vielen Dank, das freut mich aber sehr!

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