Deutschland sieht sich gerne als Land der Dichter und Denker. Bei Beethoven (dessen Jahr angesichts Corona nun völlig untergeht) diskutieren die Österreicher und ihre Lieblingsnachbarn engagiert darüber, wer sich den großen Musikus denn nun zurechnen dürfe. Doch bei vielen freischaffenden Künstlern wird im Moment die finanzielle Not immer dichter. Und wenn es um finanzielle Unterstützung geht, hört so mancher Musiker nur: „Denkste!“

Es hätte so schön werden können. Und es wäre sicher wunderbar geworden: Für die Lange Nacht der Kirchen in Reutte in Tirol hatten die große katholische und wir von der kleinen evangelischen Kirchengemeinde ein gemeinsames Konzert in der wunderschönen Dekanatspfarrkirche zu Breitenwang geplant: „Kirche, Synagoge und Moschee“ mit Irith Gabriely (Jüdin/Klarinette), Thomas Wächter (Christ/Orgel) und Abuseyf Kinik (Alevit/türkische Laute und Percussion). Wie gesagt, das war geplant. Vor einigen Wochen ist dieser Traum jedoch geplatzt wie eine Seifenblase. Warum, muss man nicht groß fragen: Corona!

Für uns Veranstalter ist das bitter und bedauerlich. Aber wir können das Konzert, auf das wir uns so gefreut hatten, ins nächste Jahr verschieben und nachholen. Für viele Künstler indes steht durch die jetzige Krise nicht nur ihre Karriere, sondern auch ihr finanzielles Überleben auf dem Spiel. Und der großen Politik scheint das rechtschaffen Wurst zu sein.

Ich war empört, als ich heute morgen im Deutschlandfunk hörte, dass sich die Kultusminister der 16 deutschen Bundesländer sechs Wochen Zeit gelassen haben, um in einer Telefonschalte über eventuelle Hilfe für in Not geratene Künstler zu sprechen. Sage und schreibe sechs Wochen, nachdem alle Kulturveranstaltungen gecancelt wurden!

Kämpft um Anerkennung für freischaffende Künstler: Irith Gabriely (hier bei „Kirche, Synagoge und Moschee in der Martinskirche zu Neckartailfingen).

Ja geht’s noch?

Heute habe ich mit Irith telefoniert. Ihr sind alle Engagements weggebrochen. Sie will nicht jammern: „Ich hab eine kleine Rente, vor vier, fünf Jahren hätte es mich schlimmer getroffen!“ Bei ihr gehe es halt um Verzicht auf Überflüssiges, das kriege man mit eisernem Sparen schon irgendwie hin.

Aber sie kennt jede Menge Kolleginnen und Kollegen, die im Moment ums Überleben kämpfen, weil sie eben kein festes Engagement an einem staatlichen Theater haben (und damit wenigstens Kurzarbeitergeld bekommen), sondern durch Tourneen, Projekte bei Festivals oder Aushilfsjobs in Orchestern ihren Lebensunterhalt verdienen. Die stehen nun buchstäblich vor dem Nichts, und der Staat zuckt mit den Achseln…

Wer Soforthilfe beantragt, muß einen Liquiditätsengpass nachweisen. Und wenn der anerkannt wird, bekommt man offenkundig nur Geld für Miete oder Betriebsmittel. Nun kauft man sich freilich nicht jeden Monat eine Stradivari oder anderes wertvolle Konzertinstrument. Um die anderen laufenden Kosten kümmert sich niemand. Es gibt auch nichts für ausgefallene Engagements, selbst wenn die Werbung (wie bei der Langen Nacht der Kirchen) schon lief. Unglaublich!

Die Konsequenz? Irith beschreibt es so: „Leute, die als freiberufliche Künstler schon vor der Krise nicht viel verdient und auch nicht auf großem Fuß gelebt haben, drohen jetzt zu verarmen. Uns allen wurde ja von heute auf morgen der Beruf unmöglich gemacht.“ Sicher, die Regierung habe vieles richtig gemacht in der Krise und auch gute Entscheidungen getroffen. Aber von den Prioritäten sei sie doch enttäuscht.

Es kursierten Gerüchte, daß im ganzen Jahr 2020 keine Konzerte mehr stattfinden dürften, ja vielleicht erst wieder, wenn ein Impfstoff zur Verfügung stehe. Und das könne ja bis weit ins nächste Jahr hinein dauern: „Langsam sickert die Meinung durch, daß Musik eben nicht als systemrelevant empfunden wird.“ Da habe man das Gefühl, schon zu normalen Zeiten als Musiker nicht wertgeschätzt zu werden. Auf jeden Fall spüre man nun außer salbungsvollen Worten keinerlei Wertschätzung.

Irith Gabriely: „Musik wird wohl nicht als systemrelevant empfunden.“

Das macht auch mich als Kultur-Freund und Gelegenheits-Veranstalter tief traurig. Ja mehr noch: regelrecht grantig. Schon in den ersten Tagen der Krise, noch vor dem Lockdown, wurde den Banken Hilfe zugesagt. Und die, die ohnehin schon schlecht genug verdienen, läßt man nun schon sechs Wochen hängen – wie es aussieht, bis zum Sankt Nimmerleinstag.

Dieser Eindruck drängt sich jetzt geradezu auf: Kultur scheint nur etwas für Sonntagsreden zu sein. Man schmückt sich gern mit dem Label „Kulturnation“ – nur kosten darf es halt nix. „Leistung muss sich wieder lohnen“, hat zum Beispiel die FDP immer geschmettert. Aber welcher Leistungsbegriff steckt dahinter? In Nordrhein-Westfalen, wo diese Partei mit Yvonne Gebauer die Kultusministerin stellt, ist Kunst offensichtlich keine Leistung. Es gibt nix. Nebenbei bemerkt: Schon früher ist die FDP nicht gerade dadurch aufgefallen, dass sie etwa für Krankenschwestern und Supermarkt-Kassiererinnen, deren Leistung nun sogar als Heldentum gefeiert wird, eine bessere Bezahlung gefordert hätte.

Kunst und Kultur sind aber kein Schnickschnack, den man sich wie während der Adelsherrschaft mal leistet oder eben nicht, sondern ein Grundpfeiler unserer Gesellschaft. Wie wäre es denn, wenn man die vielen Veranstaltungen anläßlich des Beethoven-Jahres nicht verschöbe, sondern einfach striche und das Geld in einen Fonds für existenzbedrohte Künstler einzahlte? Ich vermute mal: Der „Superstar und Revolutionär“, als der er heutzutage apostrophiert wird (unter anderem von den Kollegen vom Wiener „Kurier“) wäre angetan von dieser Idee gewesen.

Nun aber erklingt für viele Musiker (und wohl auch bildende Künstler) die Schicksalssinfonie respektive Haydns Abschiedssinfonie. „O welche Lust, in freier Luft den Atem leicht zu heben! Nur hier, nur hier ist Leben!“, singt der Gefangenenchor in Beethovens „Fidelio“. Vielen freischaffenden Künstlern geht im Moment aber finanziell der Atem aus, sie ringen ums (Über)Leben.

„Es war einmal ein Musikus, der spielte im Café, und alle hübschen Mädchen setzten sich in seine Näh“ – so hieß ein Evergreen aus den 20er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Doch das ist fast 100 Jahre her. Heute ginge das gar nicht. Weder für den Musikus noch für die hübschen Mädchen. Denn auch die Cafés sind geschlossen. Nicht mal solche Jobs kann man noch ergattern.

https://youtu.be/RlcEps0I-sY

Begeistert hat die international renommierte Klarinettistin die erste Rede Angela Merkels nach dem Lockdown gehört. Vor allem diesen Satz: „Wir werden keinen im Stich lassen!“ Doch mittlerweile sagt sie resigniert: „Das hat wohl nicht gestimmt. Zumindest bisher.“

Und wie sieht die Zukunft aus? Werden bald eine Menge lange und gut ausgebildeter Musiker und Schauspieler Taxi fahren statt Beethoven oder Goethe zu spielen?  Irith Gabriely dazu: „Oder bei McDonald’s jobben. In den USA ist das ja schon lange so.“

Ein grauenhafte Vorstellung. Solange man denen am Ende der kulturellen Nahrungskette nicht zur Seite steht, verschone man uns bitte mit Sonntagsreden!  Ich kann sie nicht mehr hören! Tut endlich was!